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AutorenbildMaren Kahl

Marketing von Freikirchen

Aktualisiert: 10. Apr. 2023

Mit welchen Maßnahmen Gemeinden ihre Zielgruppe ansprechen

Ich komme aus einer landeskirchlichen Gemeinschaft, die alles andere als modern war. Es war schon eine Besonderheit, wenn der Gesang im Gottesdienst von Klaviermusik begleitet wurde. In der Regel gab es die von einer Diakonisse mit großer Hingabe gespielte Orgel, alte Choräle aus dem Gesangsbuch "Jesus, meine Freude" und die immer selbe Liturgie mit abwechselndem Aufstehen und Hinsetzen, die im Laufe der Jahre für so manchen Kreislaufkollaps gesorgt hat. Nichts davon sprach mich an und ich wunderte mich nicht über den hohen Altersdurchschnitt in der Gemeinde. Die Gottesdienste waren nicht zeitgemäß und entsprachen nicht mal ansatzweise meinen Bedürfnissen. War man nicht in die Gemeinde hinein geboren worden, gab es für junge Leute, keinerlei Grund und Anreiz, sie zu besuchen.


Dass die junge Generation anders angesprochen werden muss, haben Freikirchen dagegen längst begriffen. Die Investition, zeitlich und finanziell, in Marketing- und PR-Arbeit ist eine Selbstverständlichkeit geworden. Das Bespielen von Instagram- und TikTok-Accounts, SEO-Optimierung, die Gestaltung von Imagefilmen und die Überführung von "weltlichen" Trends in den christlichen Kontext sind keine Seltenheit mehr. Ich arbeite selbst seit einigen Jahren im Marketing und beobachte interessiert, wie viele Gemeinden ihre Werbemaßnahmen in den letzten Jahren intensiviert und professionalisiert haben. Zu welchen Marketing-Mitteln fundamentalistische Gemeinden greifen, um Mitglieder anzulocken und ihnen emotionale Erlebnisse zu bieten, möchte ich in diesem Blogbeitrag beschreiben:


1. Das Produkt: Vom Gottesdienst zum Erlebnisevent


Mit altmodischen Gottesdiensten und verstaubten Traditionen wirbt man keine jungen Leute mehr an - im Marketingkontext könnte man sagen, das "Produkt" ist nicht mehr zeitgemäß und entspricht nicht den Interessen der Zielgruppe. Viele Freikirchen haben das erkannt und ihr Angebot entsprechend angepasst. Gottesdienste werden zu Events: beim ICF spricht man von Celebration, bei Hillsong vom Service. Die Besucher*innen erwartet ein emotionales Erlebnis mit Lichtshows, mitreißender Musik und starkem Gemeinschaftsgefühl. Getroffen wird sich nicht in alten Kirchen, sondern in Kinos oder Eventräumen, die an Konzertsäle erinnern. Junge Prediger*innen stehen auf der Bühne, sprechen im lockeren Ton von der Bibel, als sei sie ein angesagter Bestseller, und tragen dabei Hoodies und Sneakers. Im Anschluss gibt's noch einen netten Plausch bei einer Tasse Kaffe oder einer Fassbrause an der Barista Bar. Neue Interessenten sind immer herzlich willkommen, das Angebot wird so niedrigschwellig wie möglich gestaltet: Teilnehmen kann man häufig auch über einen Livestream und besucht man den Gottesdienst zum ersten Mal vor Ort, bleibt man ganz sicher nicht alleine. Man wird überschwänglich willkommen geheißen und schnell integriert.

Das neu überarbeitete Produkt hat ein klares Versprechen: Die Konsument*innen dürfen sich auf starke Emotionen, intensive Erlebnisse und ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl freuen.

Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer Angebote: Eingeladen wird zu Ladies Nights, Männer-Stammtischen, Campingwochenenden oder Hangouts. Zu Veranstaltungen, die Spaß und ein Gemeinschaftsgefühl versprechen und auf den ersten Blick nicht auf einen christlichen Kontext schließen lassen. Zu diesen Events können Christ*innen ihre "weltlichen" Freund*innen einladen, ohne gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Sie bieten die Möglichkeit, ihnen die Welt des Glaubens schmackhaft zu machen.


2. Die Online-Marketing-Strategie: Das hippe Leben mit Jesus


Doch nicht nur das Produkt wurde refresht - auch die Außendarstellung hat sich geändert. Viele Gemeinden haben moderne Webauftritte mit ansprechendem Design und sind vor allem auf Instagram sehr aktiv. Betrachtet man beispielsweise die Accounts von citychurch, Hillsong oder dem ICF (Beispiel Augsburg) wird schnell deutlich, dass diesen eine klare Marketingstrategie zugrunde liegt. Die Fotos und Videos vermitteln exakt die oben genannten Versprechen: Emotionen, Erlebnisse und Gemeinschaftsgefühl. Zu sehen sind Menschen, die voller Leidenschaft zusammen singen und die Musik auf der Bühne genießen, die in Gespräche vertieft zusammensitzen, gemeinsam unterwegs sind oder feiern. Sie erinnern an Club- oder Konzertbesuche. Dazu wurden sie professionell und mit gutem Equipment erstellt, sind farblich und stilistisch aufeinander abgestimmt und ergeben ein stimmiges und ansprechendes Gesamtbild auf dem Account. Hier steckten Strategie und Arbeit drin, die teilweise in Gemeinden von fest angestellten Marketing Manger*innen geleistet wird.

Und auch auf Youtube präsentieren sich die Gemeinden. Hillsong Worship ist dort mit 8,7 Millionen Abonnenten und über 700 Videos vertreten, in denen Bands gefühlvolle Worshipsongs spielen. Neben Musikvideos finden sich von etlichen Freikirchen auch Gottesdienst- oder Konferenzmitschnitte, Imagefilme, Talkrunden oder Impulsvorträge auf der Plattform. Auch hier handelt es sich um professionelle Webauftritte, die hochwertige Technik und viel Arbeit erfordern.

Interessant ist auch, dass, wenn man bei Google "icf sekte" sucht, unter den ersten drei Video-Treffern gleich zwei aus dem christlichen Bereich kommen. Während das erste tatsächlich auf die Frage (Ist ICF eine Sekte?) eingeht, berührt das Video vom ICF München dieses Thema nur am Rande. Doch durch geschicktes SEO-Marketing (z. B. die Formulierung der Headline oder die Platzierung relevanter Keywords im Beschreibungstext auf Youtube), wird hier die Gelegenheit genutzt, aus der internen (gemeint ist die christliche, nicht die der einzelnen Gruppierung) Sicht Stellung zu beziehen und andere Beiträge zum Thema auf die hinteren, weitaus weniger wahrgenommenen und geklickten, Plätze zu verbannen. Auch bei der Suche nach "icf homosexuell" passiert etwas sehr ähnliches.

(Übrigens: Bei den allgemeinen Suchergebnissen ist ihnen das nicht geglückt. Hier tauchen auf den ersten Seiten größtenteils kritische Berichte über die Gemeinde auf. Erst ab Seite drei ist ICF selbst mit seinen Webauftritten vertreten.)


3. Kundenbindung: Wie Gemeinden das "weltliche Leben" überflüssig machen


Hat man als Unternehmen erstmal Kund*innen gewonnen, gilt es diese zu halten: mit Treueprogrammen, exklusiven Angeboten, Geburtstagsmailings oder Gutscheinen. Das ist in Gemeinden nicht anders - auch sie müssen für ihre Mitglieder attraktiv bleiben und immer wieder neue, lohnenswerte Angebote schaffen. Dies geschieht einerseits durch ein vielfältiges Eventprogramm, das dazu einlädt, die Freizeit im sozialen Umfeld der Gemeinde zu verbringen. Neben unterschiedlichsten Treffen, in denen über die Bibel und das geistliche Leben diskutiert wird, werden gerne auch aktuelle Trends aufgriffen und zu Handlettering- oder Keramikworkshops eingeladen.

Andererseits wird auch das breite Angebot der "Welt" überflüssig gemacht, indem es kurzerhand kopiert und in den christlichen Kontext gebracht wird. Von Hip Hop Bands über deutsche Popmusik bis hin zu Heavy Metal - für jede Musikrichtung findet man die passende christliche Alternative. Es gibt keinen Grund mehr, "weltliche" Musik zu hören oder auf Konzerte zu gehen. Es gibt Spielfilme mit christlicher Botschaft, moderne Klamotten mit Bibelversen und schicke Notizbücher für die Stille Zeit.

Da ich in der Buchbranche arbeite, finde ich die Entwicklung hier besonders interessant: Christliche Verlage wie Brunnen, SCM oder Gerth Medien eignen sich die aktuellen Trends, Genres und Designs an und veröffentlichen Bücher, die optisch kaum von "weltlicher" Literatur zu unterscheiden sind. Vor allem im Bereich der fiktiven Literatur (wie historische Romane, Krimis oder Familiensagas) ist die Ähnlichkeit in der Aufmachung verblüffend. Auf den folgenden Bildern zeige ich verschiedene Genre-Trends, die es aktuell bei Büchern gibt - links seht ihr jeweils die christliche Variante dazu:


Historische Romane

Lustige Krimis

Geschichten von Frauen

Escape Games

Für jedes Leseinteresse gibt es die passenden Bücher. Und auch hier wird schon im Kindesalter angesetzt: Die frohe Botschaft wird mithilfe von Pappbilderbüchern, Comics, Stickeralben, Wimmelbüchern und kleinen Heftchen im Pixi-Format vermittelt. Vom Image des altbackenen, verstaubten Christentums ist hier längst nichts mehr zu sehen, alles wirkt modern und frisch. Es wird eine Parallelwelt aufgebaut, die der tatsächlichen Welt sehr ähnlich ist - nur ohne die Gefahr, durch die falschen Medien von Dämonen oder Satan negativ beeinflusst zu werden und am Ende den Glauben zu verlieren.

Warum sollte man also noch "weltliche" Medien konsumieren, wenn es alles auch als christliche Variante gibt?


Doch auch wenn Gemeinden ihr Programm angepasst haben und an ihrer Außenwirkung arbeiten, wenn sie jung, modern und weltoffen daherkommen - der Kern bleibt derselbe. Fundamentalistische Christ*innen glauben an die vom Heiligen Geist inspirierte Bibel, die wortwörtlich zu lesen und Ausgangspunkt für alles Denken und Handeln ist. Sie glauben, dass Homosexualität und Abtreibung eine Sünde sind, dass alle Menschen, die nicht an Gott glauben, in alle Ewigkeit in der Hölle schmoren werden und nur sie die Wahrheit kennen.

Es ist ein erzkonservativer Glaube unter dem Deckmantel der Modernität.


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